Sun Lutang
Meister Sun Lutang wurde 1861 unter dem Namen Sun Fuquan als Sohn eines armen Bauern in Dingxian, in der Hebei Provinz geboren. Weil er an Selbsverteidigung interessiert war, lernte er als erste Kampfkunst von einem Lehrer mit Namen Wu das Shaolin Hung Boxen, einen äusseren Kampfstil. Vom gleichen Lehrer soll er auch Light Body Methoden (Qing Gong) erlernt haben.
1882 bekam er von Meister Li Kuiyuan seinen ersten Unterricht in einer inneren Kampfkunst, dem Xing Yi (Hsing-i Chuan). Nachdem Sun Lutang alles von Li Kuiyuan gelernt hatte, empfahl ihn Li Kuiyuan an seinen eigenen Lehrer Kuo Yunshen (1827-1903) weiter, wo er seine Xing Yi Ausbildung vervollständigte.
Es gibt eine Geschichte, die erzählt, dass Sun Lutang nach dem sehr anstrengenden Training spät in der Nacht ein Räucherstäbchen anzündete und sich das Ende an der Hand befestigte. Wenn die Glut seine Hand erreichte soll er aufgestanden sein um sein morgentliches Training zu beginnen.
Ab 1891 erlernte er von Meister Cheng Ting Hua, der ihm 1894 den Namen Sun Lutang gab und von Li Yuanzhong, beides Schüler von Dong Haichuan drei Jahre lang die innere Kampfkunst Baguazhang (Pa Kua Chang).
Bei einem Besuch in Beijing lerne er durch einen Zufall den berühmten Taijiquan Meister Hao Weizhen (1849-1920) kennen, der zu der Zeit schwer erkrankt war. Sun Lutang nahm in mit nach Hause rief einen Arzt und kümmerte sich intensiv um ihn. 1911 lernte er im Alter von circa 50 Jahren von Hao Weizhen den Wu Yuxiang Stil (auch als Wu- (Hao) Taijiquan bekannt) des Taijiquan.
Durch den Umstand, daß er schon ein Meister in den beiden anderen inneren Stilen Xing Yi und Baguazhang war, gelang es ihm ungewöhnlich schnell die Meisterschaft im Taijiquan zu erlangen. Durch seine Arbeit an der Fakultät des Beijing Physical Education Research Institute wurde er natürlich auch von den dort unterichtenden Taijiquan Meistern Yang Shao-hou, Yang Ch’eng-fu and Wu Chien-ch’üan beeinflußt. 1914 im Alter von 52 Jahren begann Sun Lutang seinen eigenen Taiji Stil auf den Grundlagen der von ihm erlernten Stile, insbesondere des Wu- (Hao) Taijiquan zu entwickeln.
Sun Lutang betrachtete das Sun Taijiquan als die Krönung seiner lebenslangen Arbeit. Seine Kampfkunstlehre zeichnet sich durch die Verbindung von Kampfkunst und Daoismus aus.
Obwohl Sun Lutang ein hervorragender Kämpfer gewesen sein soll, stand bei ihm in der Taijiquan Praxis die Erhaltung der Gesundheit im Vordergrund.
In all diesen Jahren bildete sich Sun Lutang, der in seiner Jugend nur ein Jahr zur Schule ging auch akademisch weiter, weil er der Ansicht war, man wäre mit rein physischer Ausbildung nur ein halber Mann. Auch der Kalligrafie galt sein Interesse. Er sagte dazu einmal: „Ich bewege den Pinsel wie eine Klinge und die Klinge wie einen Pinsel“.
Sun Lutang bekam während seines Lebens einige Spitznamen wie zum Beispiel „Erste Hand unter dem Himmel“ und „Intelligenter als ein aktiver Affe“ verliehen.
Wenn Sun Lutang gefragt wurde, was das Geheimnis der „inneren“ Kampfkünste sei, soll er geantwortet haben: „Harte Arbeit“.
Moral
Sun Lutang war für seine hohen moralischen Ansprüche und seine Großzügigkeit weithin bekannt. Als eine schwere Dürre sein Heimatland 1922 traf, reiste er mit allen seinen Ersparnissen nach Hause und half den Bedürftigen. Im nachfolgenden Frühling rief er alle seine Schuldner zusammen und verbrannte alle Rechnungen in ihrer Anwesenheit.
Sun Lutang sagt zu seinen Schülern: „Ein wahrer Kampfkunst Meister hat eine rechtschaffene Zunge und rechtschaffene Hände“.
Familie
Im Jahre 1891 heiratete Sun Lutang Zhang Zhouxian, mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte.
- Erster Sohn: Sun Xingyi (1891-1929)
- Zweiter Sohn: Sun Cunzhou (1893-1963)
- Dritter Sohn: Sun Huanmin (1897-1922)
- Tochter: Sun Jianyun (1913-2003)
Sun Lutangs Tod
Sun Lutang soll anhand des Buches Yi Jing (I Ging – Das Buch der Wandlungen) seinen Todestag exakt vorhergesagt haben. Im November 1933 erklärte er, daß er im Dezember sterben würde. Niemand nahm ihn ernst. Seine Vorhersage traf exakt zu. Er starb am 16. Dezember 1933 im Alter von 72 Jahren im selben Raum in dem er geboren wurde.
Nach seinem Tod wurde der Sun Stil von seinem Sohn Sun Cunzhou (1893-1963), dessen Tochter Sun Shurong (1918-2005) und Sun Lutangs Tochter Sun Jianyun (1913-2003) weiter gepflegt.
Bibliografie
Durch seine schriftstellerische Arbeit wurde der Begriff Neijia Quan als Oberbegriff für die sogenannten inneren Kampfkünste polularisiert.
1915 The Study of Form-Mind Boxing.
1916 The Study of Ba Gua Boxing.
1921 The Study of Tai Ji Quan.
1924 The True Essence of Boxing.
1927 The Study of Ba Gua Sword.
1929 begann er mit der Arbeit zu The Study of the Xing Yi Spear. Leider wurde dieses Buch nie veröffentlicht.
Sun Lutang (1860-1933) – (aus Wuhun – Die Seele der Kampfkunst)
Von Tong Xudong, übersetzt von Stefan Gätzner
Sun Lutang hob auf der Grundlage von Forschungen und Erfahrungen seiner Vorgänger durch seine eigene einzigartige Forschungs- und Praxisarbeit die Qualität der Kampfkunstlehre insgesamt auf ein neues Niveau. Er gründete ein System der Kampfkunstlehre, das sich durch eine Verbindung der Kampfkunst mit dem Daoismus auszeichnet. Und er gestaltete diese daoistische Lehre der Kampfkunst, die durch das gleichzeitige Vorhandensein einer theoretischen Struktur und praktischer Anwendbarkeit gekennzeichnet ist und auf die Vervollkommnung des jedem Menschen angeborenen moralischen Bewusstseins abzielt.
Die daoistische Kampfkunstlehre von Sun Lutang stellt nicht nur eine vollständige Zusammenfassung, Verfeinerung und Niveausteigerung der wissenschaftlichen Leistungen von Dong Haichuan, Li Nengran, Yang Luchan, Wu Yuxiang und ihrer Nachfolger dar, sondern ihr Forschungsgebiet und Bezugsrahmen umfasst auch mehrere Dutzend Kampfkunstarten, hunderte von Schulen mit und ohne Waffen sowie konfuzianische, buddhistische und daoistische Lehren. Erstmals in der Geschichte kam es dazu, dass Kampfmethoden von einer bloßen Fertigkeit, im Kampf zu bestehen, auf das Niveau eines durchstrukturierten und praxisnahen Wissens über Selbstvervollkommnung gehoben wurde. Hierbei manifestierte sich traditionelles philosophisches Denken umfassend in der Kampfkunst (siehe auch Sun Lutangs fünf Kampfkunstmonographien). Dadurch wurden Zusammensetzung und Struktur der traditionellen chinesischen Kultur in äußerst großem Maße bereichert und verbessert. Somit ist das daoistische Kampfkunstsystem von Sun Lutang mehr als nur eine vollständige Zusammenfassung und Niveausteigerung der Leistungen der Vorfahren in der Kampfkunst, vielmehr stellt es auch ein System zur praktischen Verifizierung der traditionellen östlichen Philosophie dar. Seine überragende kulturelle Bedeutung ist nur schwer abzuschätzen. Der hauptsächliche Beitrag von Sun Lutang zu Kampfkunstlehre umfasst die untenstehenden fünf Bereiche:
1. Im ideologischen Bereich der Kampfkunstlehre schuf er basierend auf dem überlieferten Gedanken dass „die Kampfkunst nichts anderes als das Dao ist“, ein System der Kampfkunstlehre, das durch Einheit von Kampfkunst und Daoismus gekennzeichnet ist. Er äußerte als erster den Gedanken, dass das Ziel des Übens eines Kampfsystems die Selbstvervollkommnung, die Erziehung zur Tugend und sowie die Vervollkommnung des angeborenen moralischen Bewusstseins ist.
2. Im theoretischen Bereich schuf er drei bedeutende Grundtheorien der Kampfkunstlehre, die auf der Wissenschaft der traditionellen chinesischen Physiologie aufbauen. Als erster verband er die verschiedenen Kraftformen in der Kampfkunst mit physiologischen Gesetzmäßigkeiten zu einer Einheit. Und zwar wie folgt:
(1) Die Theorie der Entstehung der inneren Kraft durch die Verbindung der Acht Trigramme in ihren prä- und postnatalen Aspekten.
(2) Die Theorie von der Progression der inneren Kraft basierend auf drei Stufen des Könnens, nämlich sichtbare, verborgene, und auflösende Kraft.
(3) Die Theorie der Vollständigkeit der inneren Kraft in der Form von drei Kraftarten, nämlich die einer harten Kugel, die eines Lederballs und die einer aufgerollten Stahlfeder.
3. In Bezug auf die Bewegungsmethodik schuf er ein Techniksystem, das aufbauend auf der Verbindung von Xingyi, Bagua und Taiji zu einer Einheit die verschiedensten Stile in sich vereint und das das Finden der Mitte und der Harmonie als Grundprinzip und die innere Kraft als Kernstück hat.
4. In Hinblick auf die Funktion der Kampfkunstlehre zeigte er ihr eigentliches Wesen im Rahmen der Leibesertüchtigung auf. Dies besteht darin, dass die Kampfkunst „das Wesen der unzähligen Dinge restlos widerspiegeln kann“ sowie dass Gelehrsamkeit und kämpferisches Geschick Hand in Hand miteinander gehen und Philosophie und Kampfkunst als ein Ganzes sich gegenseitig bestätigen.
5. Durch seine überragende Kampferfahrung und seinen unerreichten Kampfrekord sowie durch seine meisterliche Beherrschung der Kampftechnik, hohe moralische Bildung und seine verlässlichen Resultate in der Ausbildung verifizierte Sun Lutang in praktischer Hinsicht den hohen Stand der chinesischen Kampfkunstlehre und bestätigte damit Exaktheit und Perfektion seiner eigenen daoistischen Kampfkunstlehre. Darüber hinaus bildete er eine Reihe von einflussreichen und herausragenden Kampfkünstlern heran, wie Sun Cunzhou, Zhu Guofu, Zheng Huaixian und Li Yulin. Man kann Sun Lutang mit Fug und Recht als die Autorität auf dem Gebiet der Kampfkunstlehre bezeichnen, die in den 200 Jahren seit dem 19. Jahrhundert die größten Leistungen und den höchsten Kenntnisstand vorzuweisen hat.
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Dieser Text wurde aus dem chinesischen übersetzt von Stefan Gätzner, E-Mail: info@wuhun.de. Stefan Gätzners Website wuhun.de finden Sie hier.
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