Aus Wuhun – Die Seele der Kampfkunst
Von Wang Rongze, Wang Xiaoyuan, übersetzt von Stefan Gätzner
Der Begriff „Peitscheneffekt“ bezieht sich darauf, dass innerhalb eines Bewegungsablaufs in einem Abschnitt plötzlich eine Bremswirkung eintritt und dies dazu führt, dass die Geschwindigkeit der Bewegung im Endabschnitt deutlich zunimmt. Der Bewegungsablauf eines Speerwurfs stellt ein Beispiel für einen Peitscheneffekt dar. Bevor er den Speer wirft, nimmt der Athlet mit Höchstgeschwindigkeit Anlauf. In dem Augenblick, da der Speer die Hand verlässt, bremst der Körper plötzlich bis zum Stehen ab. Der Speer löst sich vom Körper und beginnt seine Flugbahn. In diesem Augenblick des Wurfes liegt die Geschwindigkeit des Körpers nahe null. Die Geschwindigkeit des Speeres jedoch liegt noch höher als die Gesamtgeschwindigkeit, die das Schulter- Ellbogen- und Handgelenk zusammen erzeugen können. Die Gründe, warum eine so hohe Geschwindigkeit erreicht werden kann, werden in Lehrbüchern zu Motorik und Biomechanik eindeutig erklärt. Die Darlegung dieser Theorien im Einzelnen soll aber nicht Aufgabe dieses Artikels sein. Sondern das mechanische Prinzip des Speerwurfs soll nur als Ausgangspunkt für einige Erläuterungen bezüglich der Anwendung des Peitscheneffekts im Taijiquan und dem Push Hands dienen: Wenn wir einmal die Faust mit dem Speer gleichsetzen, wie kann man dann die Faust dazu bringen, mit einer Bewegung von hoher Geschwindigkeit sich vom Körper zu „lösen“ und „wegzufliegen“?
Lockerung von Schultern, Ellbogen Handgelenken
Früher benutzten Sprengmeister bei der Vorbereitung von Felssprengungen stets zwei verschiedene Hämmer. Einer besaß einen „harten“, unbeweglichen Stiel, der andere einen „weichen“, flexiblen Stiel. Der Hammer mit dem harten Stil wurde hauptsächlich eingesetzt, um Steine zu zertrümmern. Den mit dem weichen Stil verwendete man vorwiegend, um Meisel aus Stahl in Felsspalten zu treiben. Auf diese Weise bohrte man Löcher, die man mit Sprengladungen füllte. Der harte Stil bestand aus Holz, der weiche Stil aus mehreren der Länge nach aufgeschnittenen Bambusstücken, die zusammengebunden wurden.
Wenn man mit solch einem Hammer mit weichem Stil einen Meisel einschlägt, krümmt sich der ursprünglich gerade Bambusstil während der Schwungbewegung. Während der Grad der Krümmung im Verlauf der Schwungbewegung Stück für Stück zunimmt, speichert der Bambusstil elastisches Potenzial, das sich gleichfalls Stück für Stück erhöht. In Moment des Auftreffens auf den Meisel kehrt der Bambusstil wieder in seine gerade Lage zurück und die potenzielle Energie wird auf den Hammerkopf übertragen. Dabei wandelt sich die potenzielle Energie des Bambusstils in eine kinetische Energie am Hammerkopf um.
Wenn man einmal die Erfahrung gemacht hat, wie man einen Hammer beim Meißeln schwingt und damit schlägt, weiß man, dass man in dem Moment des Auftreffens des Hammers auf den Meißel seinen Griff noch einmal fest anziehen muss, damit der Hammer mit voller Wucht auf den Meisel schlägt. Bei gleich großer Schlagentfernung wirkt die beschleunigende Kraft mit einem Hammer mit einem weichen Stiel länger an als bei einem mit einem härteren Stil. Ganz offensichtlich ist die Geschwindigkeit bei einem Hammer mit einem weichen Stil weitaus höher und die enthaltene kinetische Energie noch größer als bei einem Hammer mit hartem Stil. Hinzu kommt, dass bei einem Hammer mit weichem Stil im Moment des Auftreffens auf einen harten Gegenstand die schlagende Hand einer viel kleineren Reaktionskraft ausgesetzt ist. Auf diese Weise kann man eine noch höhere Kraft beim Hämmern einsetzen, ohne sich große Sorgen darum machen zu müssen, dass die Hand einen starken Rückstoß aushalten muss.
Bei Übungen, die auf den Peitscheneffekt abzielen, muss man sich an dem Prinzip des Schlagens mit solch einem Hammer mit weichem Stil orientieren: Erstens muss der ganz Körper von oben bis unten eine Art „weichen Stil“ bilden. Zweitens setzt man im letzten Augenblick vor dem Kontakt nochmals abrupt eine zusätzliche Beschleunigungskraft ein. Drittens braucht man die Fähigkeit, „den Wagen abzubremsen“, das heißt, die Bewegung des Körpers plötzlich anzuhalten, damit die Faust sich vom Körper „löst“. Viertens muss die Faust eine gewisse Härte aufweisen.
Damit der Körper zu solch einem „weichen Stil“ wird, müssen Füße, Taille, Schultern, Ellbogen und Handgelenke unterstützend wirken. Dabei ist der Bewegungsradius der Schulter-, Ellbogen- und Handgelenke besonders groß. Deswegen müssen sie speziell trainiert werden.
An dieser Stelle sollen zunächst einige einfache, aber effektive Übungen zur Lockerung des Bereichs der Schultern, Ellbogen und Handgelenke vorgestellt werden:
1. Arme aus den Schultern heraus schleudern: Beide Füße stehen schulterweit auseinander, die Hände hängen an der Seite nach unten. Mit dem Schultergelenk als Drehachse schleudert man die Arme in einer Kreisbewegung nach hinten und oben und dann nach vorne und unten. Nach 20 Kreisen wechselt man die Richtung und macht weitere 20 Kreise.
2. Ruderbewegungen: Beide Füße stehen schulterweit auseinander. Man hebt die Hände mit den Handflächen nach oben bis zu den Achseln. Die Finger zeigen nach vorne. Beide Hände werden vorgestreckt. Dabei drehen sich gleichzeitig die Hände nach innen. Wenn die Arme dann auf Schulterhöhe gestreckt sind, sind die Handflächen nach außen gedreht, während die Handrücken zur Brust zeigen. Ohne die Bewegung zu unterbrechen, zieht man die Arme auf Schulterhöhe zu den Seiten auseinander, bis die Handflächen nach hinten zeigen. Danach dreht man die Ellbogen und Handgelenke, bis die Handflächen wieder nach oben zeigen, während man die Hände wieder zum Körper zurückzieht. Dies wiederholt man 20 Mal.Aus der gleichen Ausgangsstellung dreht man die Ellbogen und Handgelenke nach hinten und außen. Man breitet die Arme horizontal zu den Seiten aus, wobei die Handgelenke so gedreht sind, dass die Handflächen nach oben zeigen. Ohne Unterbrechung klappt man die Hände nach innen, während man die Arme vor den Körper streckt, bis die Hände mit den Handflächen nach oben vor dem Körper zusammengeführt sind. 20 Wiederholungen.
3. Gegenzug: Beide Füße stehen schulterweit auseinander, die Hände hängen an der Seite nach unten mit den Handflächen nach innen. Die linke Hand wird nach oben, die rechte nach hinten und unten geschleudert. Beide Hände und Arme ziehen sich gegenseitig in die Länge. Gleichzeitig wird der Körper etwas vorgebeugt. Dazu wird die Brust etwas herausgedrückt. An den Fingern herrscht keine Anstrengung; sie sind entspannt und sind natürlich gebeugt. Die Ellbogen dürfen nicht hart durchgestreckt werden. Man übt diesen Gegenzug abwechselnd links und recht mit 40 Wiederholungen.
4. Arme auf und ab werfen: Die Übung gleicht dem Gegenzug, nur mit dem Unterschied, dass beide Arme zusammen durch eine von den Fußgewölben aufsteigende, federnde Kraft nach oben und nach unten geschleudert werden. Wenn die Fußgewölbe nach oben federn, heben die Fersen vom Boden ab, während die Fußspitze immer im Kontakt mit dem Boden bleibt. Man schleudert die Arme jeweils 20 Mal nach oben und nach unten.
5. Handgelenkkreisen: Beide Füße stehen schulterweit auseinander. Vor dem Bauch werden die Finger sanft ineinander verschränkt. In beide Richtungen kreist man mit den Handgelenken jeweils 20 Mal.
6.Finger zusammenziehen: Beide Füße stehen schulterweit auseinander, die Hände hängen an der Seite nach unten. Man spreizt alle zehn Finger und zieht sie dann die Fingerspitzen zusammen. Dies macht man 20 Mal im Wechsel.
6. Die obigen Übungen stellen einen Teil der Dehnungs- und Lockerungsübungen des Taijiquan dar. Neben diesen Übungen für Arme und Hände gibt es noch Nackenkreisen für den Halsbereich; horizontales, vertikales und freies Kreisen sowie Absenken der Taille, Drücken, Öffnen und „Reiben“ der Hüftgelenke und schließlich Kreisen und Drehen der Knie und Fersen. Für einen kompletten Durchgang dieses Sets von Dehnungs- und Lockerungsübungen benötigt man etwa 10 Minuten. Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Übung für den Bereich der Schultern, Ellbogen und Handgelenke:
7. Kraftübertragung wie bei einem Sanjiegun – „dreiteiligen Stock“ [einer Wushu-Waffe aus drei ca. 60 cm langen, mit Ketten verbundenen Stöcken]: Die Schulter-, Ellbogen- und Handgelenke sollen wie eine Kette bzw. wie ein dreiteiliger Stock oder eine neungliedrige Kette geschwungen werden. Bei dieser Art der Kraftübertragung ist eine genaue Beschreibung des Bewegungsablaufes kaum möglich; so wie man einen dreiteiligen Stock schwingt, genau so erfolgt eben die Kraftübertragung bei Schulter-, Ellbogen- und Handgelenken. Zuerst sollte man dabei leichte Bewegungen ausführen, wobei man auf Krafteinsatz und Schnelligkeit verzichtet. Danach steigert man allmählich die Geschwindigkeit. Dabei erspürt man die Spannung an den einzelnen Punkten [bzw. den Gelenken] und am äußersten Glied der Kette. Dieses äußerste Glied der Kette ist die Faust.
Bei letzterer Übung muss man darauf achten, nicht [bis zur vollen Streckung] ins Leere zu schlagen. Wenn wir beim Sanshou-Training [Training von Kampftechniken und Sparring] in die Luft schlagen, führt dies zuweilen zu Verletzungen von Schulter oder Ellbogen. Setzt man sich dieser Fehlbelastung regelmäßig aus, wird dies zu Langzeitschäden führen. Daher muss bei der Kraftübertragung mit Peitscheneffekt im Bereich der Arme und Hände immer etwas Spielraum bleiben. Man darf die Arme nicht voll bis zur Streckung hinausschleudern.
Oberflächlich betrachtet scheint man einfach mit den Händen sausend in der Luft herumzufuchteln. In Wirklichkeit bewegt sich auch der ganze Körper kurzzeitig mit hoher Geschwindigkeit. Es handelt sich um Abläufe, bei denen der ganze Körper Kraft einsetzt.
Am besten ist es, diese Übung der Kraftübertragung wie bei einem dreiteiligen Stock erst nach den anderen sechs Aufwärmübungen für die oberen Extremitäten –besser noch nach dem ganzen Set von Aufwärmübungen oder auch nach dem Push-Hands-Training – auszuführen. Hierdurch lassen sich noch sicherer Verletzungen vermeiden. Falls man dann noch die Kraft hat und es die Umstände erlauben, sollte man Wurfübungen mit allen möglichen schweren Gegenständen machen. Dadurch konzentriert man die Kraft des ganzen Körpers auf einen Punkt und lernt, einen blitzschnellen und starken Peitscheneffekt einzusetzen.
Kraftwirkung bis zum vordersten Abschnitt
Angriffe mit Tritttechniken sind normalerweise etwas für junge Leute und professionelle Athleten. Die meisten Leute aber müssen sich bei Angriff und Verteidigung hauptsächlich auf Handtechniken verlassen. Wenn sich die eigenen technischen Fähigkeiten in einer Handtechnik manifestieren, bildet die Faust oder die offene Hand die Vorhut. Man kann sie auch als den vordersten Abschnitt des Kraftverlaufs bezeichnen. Regelmäßige Übungen speziell für den Kraftverlauf bis zum vordersten Abschnitt der Bewegung sind entscheidend dafür, dass sich die Kraft des ganzen Körpers bis zur Faust oder der offenen Hand durchziehen kann und wie und in welchem Ausmaß dies geschieht.
Beine, Taille, Brust, Rücken und Oberarme sind weitaus kräftiger und von größerem Umfang als die Handgelenke. Wenn man mit dem ganzen Körper Kraft freisetzt, wirkt diese über die relativ schwachen Schulter- und Ellbogengelenke und das noch schwächere Handgelenk auf den Gegner ein. Falls man beim Training nicht den vordersten Abschnitt der Übertragung beachtet und diesem Bereich nicht regelmäßig Trainingsreize vermittelt, nützt es auch nichts, die Kraft eines Herkules zu haben. Denn am Endabschnitt der Bewegung wäre man nicht in der Lage, die Belastung auszuhalten und die Kraft zu übertragen. Ist die entsprechende Leistungsfähigkeit des Endabschnitts noch nicht vorhanden, dann gleicht dies einem Pfeil mit weicher Spitze: Es ist nicht nur so, dass man die Kraft nicht nach außen übertragen kann, man wird sich sogar noch selbst Schaden und Verletzungen zufügen.
Beim beidhändigen Push Hands mit seinen Kreisbewegungen haften sich beide Partner jeweils an Handgelenk und Ellbogenbereich des anderen an. Um zu lernen, die wesentliche Kraft bis zum vordersten Abschnitt zu übertragen, müssen beide Partner sich auf die Veränderungen der wesentlichen Kraft speziell an der Stelle konzentrieren, an der sich die Handgelenke berühren. Die Situation an der Stelle, an der das jeweils andere Handgelenk am Ellbogenbereich des Partners anliegt, soll außer Acht gelassen werden. Diese Stelle bleibt unbelastet und stellt nur einen äußeren Berührungspunkt dar. Zwar ist es bei den Kreisbewegungen des beidhändigen Push Hands sehr leicht möglich, mit Herumtricksen am Ellbogen zum Erfolg zu kommen, aber so sollte man an die Übung nicht herangehen. Nur die Stelle, an der sich die Handgelenke beider Partner berühren, nutzt man, um mit der gegnerischen Kraft mitzugehen und sie aufzulösen. Da diese Stelle den vordersten Abschnitt der Kraftübertragung [bei beiden Partnern] darstellt, wird dadurch gewiss der Schwierigkeitsgrad beim Mitgehen und Auflösen erhöht und man ist gezwungen, die eigene Kraft auch wirklich bis zu diesem vordersten Abschnitt zu übertragen.
Auch beim freien Push Hands gilt es die Übung nach Möglichkeit nur unter dem Anhaften an den Endabschnitten durchzuführen – solange es sich nicht um einen Wettkampf handelt, Sieg oder Niederlage auf dem Spiel stehen oder es um einen Vergleich mit einem Fremden geht. Das ist sehr anstrengend und man kann es vielleicht nur ein paar Minuten lang durchhalten. Auch wenn es sein mag, dass manche Leute die Anstrengung scheuen und jede Gelegenheit für Tricks ausnutzen.
Wenn man dann am vordersten Abschnitt erschöpft und schlapp wird, geht man dazu über, mit dem vergleichsweise mächtigen Rumpf und dem Bereich der Oberarme zu arbeiten, um den Kontakt zu halten und dem anderen Paroli zu bieten. Diese Art des Trainings bedeutet auch, dass man sich den Schwierigkeiten bewusst stellt. Auch wenn man glaubt, am Endabschnitt nicht mehr die Spannung halten zu können, muss man durchhalten. Man beißt die Zähne zusammen, denn jede Sekunde, die man länger durchhält, zählt. Wenn man es dann wirklich nicht mehr aushält, macht man eine kurze Pause. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Übung einen hohen Schwierigkeitsgrad aufweist und auch korrekt ausgeführt wird.
Druck und Kraftübertragung
In der Kampfanwendung befindet sich beim Freisetzen der Kraft mit Peitscheneffekt die Faust in einer gewissen Entfernung zum Ziel. Man nimmt nicht erst Kontakt mit dem Ziel auf, um anschließend die Kraft zu übertragen. Allerdings muss man im Training dennoch zusätzlich Abläufe üben, bei denen man erst Kontakt aufnimmt und dann die Kraft freisetzt. Ein derartiges Training bewirkt, dass die Anwendung von Techniken mit Peitscheneffekt in der Praxis noch besser klappt.
Dieses Training findet hauptsächlich im Rahmen des Push Hands statt. Wenn man beim Push Hands merkt, dass der Gegner nicht genügend Spannung hält und eingedrückt werden kann, wechselt man nicht erst die Position der Hände, sondern setzt direkt über die vorhandenen Kontaktpunkte schleunigst Kraft frei. Dadurch drückt man den Arm des Gegners so ein, dass er an seinem Körper anliegt und er ihn nicht mehr bewegen kann.
Dieses direkte Freisetzen der Kraft unter Kontakt erfolgt meistens, während man am gegnerischen Arm bzw. dessen vordersten Abschnitt anhaftet. Da das Freisetzen der Kraft sehr schnell erfolgt, kann der Gegner häufig nicht mehr rechtzeitig reagieren. Durch die eigene Kraft und die entgegen gerichtete Widerstandskraft des Gegners kommt es dazu, dass sein Ellbogen einer großen Kraft ausgesetzt wird. Es gilt zu beachten, dass diese Übungsweise sehr leicht zu Ellenbogenverletzungen des Gegners führt.
Durch ein häufiges Training in dieser Art wird nicht nur das Gefühl für das Freisetzen der Kraft mit Peitscheneffekt verbessert, sondern man wird auch mehr Gelegenheiten für deren Einsatz entdecken. Das Vertrauen darin nimmt auch entsprechend zu. Es ist in der Praxis egal, ob der Gegner nun meine Hand kontrolliert oder nicht. Kontrolliert er sie nicht, nun gut, dann setze ich direkt Kraft mit Peitscheneffekt frei. Kontrolliert er sie, macht das auch nichts. Ich komme genauso gut durch. Es ist lediglich so, dass beim Angriff auf mein Ziel zwischen meiner Faust und dem Ziel noch eine Hand dazwischen ist.
Steuerung des Peitscheneffekts
Beim Einsatz des Peitscheneffekts schlägt die Wucht des ganzen Körpers gegen den Gegner. Zusätzlich kann man dies mit einer Körperdrehung und einem Eindrehen der Hüftgelenke verbinden. Durch die Körperdrehung und das Eindrehen der Hüftgelenke kann man die Reichweite der Arme innerhalb des Bewegungsablaufs verlängern.
Die Wirkung des Peitscheneffekts hängt von der Entfernung ab. Ist man zu weit weg, erreicht man den Gegner nicht. Ist man zu nah, kann sich die Kraft nicht entfalten. Um die optimale Entfernung zu gewährleisten, wird der Peitscheneffekt manchmal sogar mit einem Rückwärtsschritt eingesetzt.
Wenn bei einer Schlagtechnik die herausgeschleuderte Hand die entsprechende Entfernung erreicht hat, ballt man sie zur Faust und spannt sie an, sodass sie hart wird. Dann setzt man unter einem Schütteln des Handgelenks den Peitscheneffekt ein und schlägt in einer federnden Bewegung punktgenau zu. Gleichzeitig mit dem Auftreffen des Schlags wird die Geschwindigkeit des Körpers null oder sogar negativ und der Impuls wird an die „Peitschenspitze“ – die Faust übertragen. Die Geschwindigkeit der Faust ist am höchsten.
Um den Gegner zu verletzen, wird beim Faustschlag mit Peitscheneffekt häufig das Mittelfingergelenk vorgeschoben. Kraft und Geschwindigkeit des ganzen Körpers wirken dann mit einem Peitscheneffekt über eine Faust, die einem Nagel gleicht, auf den gegnerischen Körper ein. Dies ergibt eine ziemlich hohe Druckstärke. Im Taijiquan werden Greiftechniken auch häufig durch diesen „Nagel“ [mit der anderen Hand bzw. Faust] und einer bohrenden Bewegung in den Gegner hinein unterstützt, was zu Verletzungen führt.
In der Methodik der Schläge unterscheiden sich Kampfanwendungen und Sparring im Taijiquan sehr stark von äußeren Stilen. Ein Beispiel hierfür ist, dass man im Taijiquan in jeder Lage und Position zum Gegner Kraft freisetzt. Man braucht nur so viel Platz, damit das Handgelenk eine schüttelnde und federnde Bewegung machen kann, schon kann man wiederholt zuschlagen.
Schläge mit den Fäusten sind instinktive Bewegungen. Auch gewöhnliche Leute sind es gewohnt, mit der Faust Hammerschläge, Schwinger, kreisende und nach oben geführte Schläge auszuführen. Falls man sich mit dem Gegner ineinander verhakt hat, braucht man keinen Schritt nach vorne zu machen, sondern man verlagert nur den Schwerpunkt nach vorne. In dem Sekundenbruchteil, da die Faust ihr Ziel trifft, erreicht die Geschwindigkeit des Körpers [durch die Anwendung des Peitscheneffekts] auf natürliche Weise den Wert null. Oder der Schwerpunkt wird nach hinten verlagert. Dann ist die Geschwindigkeit des Körpers im Moment des Auftreffens der Faust bedingungsgemäß negativ.
Bei dieser „Verlagerung des Schwerpunkts“ ist die Geschwindigkeit verhältnismäßig groß, aber die zurückgelegte Entfernung relativ klein. Es handelt sich nur um eine Drehung in den Hüftgelenken und eine Anspannung des Taillenbereichs. Bei Schlägen aus größerer Distanz macht man auf jeden Fall einen Schritt nach vorn. Dabei erreicht man mit dem vorgehenden Fuß einen Bremseffekt. Auf diese Weise stoppt der Körper in dem Sekundenbruchteil, da die Faust ihr Ziel trifft, auf natürliche Weise auf null ab.
Viele, die die Kampfanwendung meisterlich beherrschen, wissen den Peitscheneffekt äußerst geschickt zu nutzen. Sie wissen, wie man ihn übt, können aber nicht unbedingt das Prinzip dahinter eindeutig erklären. Allerdings macht das auch nicht wirklich etwas aus. Denn es ist nicht notwendig, Anforderungen wie die, dass „die Geschwindigkeit des Körpers im Moment des Auftreffens der Faust auf ihr Ziel null beträgt oder gar negativ ist“, krampfhaft einhalten zu wollen. Wenn man viel geübt hat, kann man dies auf ganz natürliche Weise erreichen.
Copyrights: Dieser Text wurde aus dem chinesischen übersetzt von Stefan Gätzner. Stefan Gätzners Website wuhun.de finden Sie hier.
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